Ökumenischer Gottesdienst zur Eröffnung des Festjahres
50 Jahre Gera-Lusan: „Mit einem Fuß im Paradies“
02. Januar 2022 – Gemeindezentrum Lusan
ANSPRACHE MIT 1. MOSE 2, 8-15
Lieber Herr Oberbürgermeister Julian Vonarb,
liebe Stadtteilmanagerin Vanessa Prager,
liebe Mitmenschen mit Herz für Lusan!
Mit einem Fuß im Paradies“ – wie kommt man nur darauf?
„Die Bibel erzählt es so:
„Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen
Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume,
verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens
mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen.“
Flüsse gibt es dort, die das Land bewässern. Und Schätze
liegen dort, die noch gehoben werden wollen: reines Gold, wertvolles
Harz und den Edelstein Onyx, um nur einige zu nennen. Und
Verantwortung gibt es dort. Die wartete darauf, dass sie jemand in die
Hand nimmt. Gott zögert nicht. „Er nahm den Menschen und setzte
ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“
Solche Bilder vom Paradies wurzeln in der Tiefe der menschlichen
Seele. Das verbindet uns über Religionsgrenzen hinweg und mit den
meisten Ideenlehren, die sich die Welt erklären und dabei nach dem
Sinn des Ganzen fragen. Das Paradies erscheint in der Gestalt eines
Gartens. Hier kreucht und fleucht es. Es geht vielfältig und lebendig
zu. Wo man auch hinschaut, was man riecht und schmeckt und hört
und spürt – das Gute wächst und sprießt überall. Und es trägt reiche
Frucht. Das Paradies kann sich kein Mensch selber basteln: Es wird
uns bereitet, und wenn es soweit ist, dürfen wir es betreten. Das hat
etwas vom Charme des Bescherungszimmers am Heiligen Abend.
Wenn das Glöckchen klingelt, öffnet sich die Tür, und wir werden reich
beschenkt. Endlich sind wir da, wo einer sieht, was wir brauchen und
was uns Freude macht. Endlich sind wir beieinander, teilen die Freude,
singen die Lieder und tafeln mit Genuss! Eine ganz irdische Hoffnung
geht vom Paradies aus: Dass es sich zeigen möge, hier und dort auch
heute schon und mitten in unserer Welt, die doch oft genug so völlig
paradiesbefreit erscheint.
„Mit Bus und Bahn oder zu Fuß ins
Paradies“ – das wär doch was!
Was suchen wir, wenn wir – von solcher Hoffnung angespornt – das
Paradies entdecken wollen? Einen Garten zunächst einmal. Bäume,
vorschlagsweise Kiefern, Lärchen, Eichen, Weiden, Kastanien. Ahorn
natürlich. Und klar: Birken und Platanen auch. Welch eine
paradiesische Idee ist es, dass Ihr hier zum Jubiläum so lange Bäume
pflanzen wollt, bis es zu jeder Art nicht nur ein Straßenschild, sondern
auch lebendige Pflanzen gibt – Bäume zum Anschauen, zum Fühlen,
zum Riechen, zum Hören, ja gerne auch mal zum Umarmen. Den
Garten haben wir.
Lasst uns nach den Schätzen suchen. Und damit meine ich jetzt nicht
das Zahngold und das orthopädische Titan der demographischen
Entwicklung und ihres Reparaturbetriebs; auch nicht das Hüftgold, an
dem wir über Weihnachten wieder so kräftig gearbeitet haben. Und
ich denke tatsächlich auch nicht zuerst an die seltenen Erden in
unseren Handys und Computern. Der Schatz vor allen anderen
Schätzen das sind die Menschen, die es hier nach Lusan zieht. Die,
die hier leben und die sich für Lusan engagieren; ihre ungeheuren
Ressourcen an Erfahrung, an Kreativität, an Fantasie, an Einsatzfreude
und Mitmenschlichkeit.
Es ist ziemlich riskant zugleich ab er ungemein verheißungsvoll, das
Paradies so anzulegen, dass es erst dann vollkommen ist, wenn
Menschen darin leben. Gott legt tatsächlich den Menschen die
Paradiesentwicklung in die Hände. Gott gibt uns Vollmacht und
Verantwortung. Wir dürfen das Paradies bebauen und bewahren.
Und keiner von uns muss das alleine tun. Eines Abends geht Gott durch
den Garten. Er freut sich an dem, was er geschaffen hat, und er hält
Ausschau nach dem Menschen. Wo stecken sie nur? „Leute, wo seid
Ihr?“ Sein Ruf hallt durchs Paradies. Der Mensch hat sich versteckt,
ungewiss, ob er taugen könnte, die Verantwortung zu tragen, in die er
sich hineingestellt sieht. „Leute, wo seid Ihr?“ Es gibt wohl keinen
Träger ehrenamtlichen Engagements, der nicht mit dieser Frage auf
den Lippen durch Lusan liefe. Die Frage ist gut. Sie allein ist schon
gute Botschaft. Stell Dir vor, Du ziehst wohin und keiner sieht Dich an,
keine fragt nach Dir, keine interessiert sich für Dich. Im Paradies ist es
anders. Da sieht der Mensch den Menschen. Da achten sie einander.
Da packen sie gemeinsam an und tragen, was zu tragen ist. Da
entwickeln sie eine Vision. Da teilen sie Vollmacht und Verantwortung.
Mensch, hier sieht man Dich. Hier braucht man Dich. Hier bist Du
willkommen!
Wer das entdeckt, der wacht mit neuen Fragen auf. Zur Freude, hier
daheim zu sein, tritt die Neugier auf die anderen. Was macht sie aus?
Was bringen sie mit? Was können wir hier gemeinsam schaffen?
Jesus ist unterwegs in Galiläa wie Gott damals in seinem Garten. Er
sieht nach den Menschen. Die Menschen sehen ihn. Zwei kommen
auf ihn zu: „Meister, wo wohnst Du?“ (Johannes 1, 38.39) Da schwingt wohl
die Hoffnung mit: Wenn wir wissen, wo Jesus wohnt, bekommt das
Paradies eine Adresse. Doch Jesus nimmt nicht ihre Frage, er nimmt
ihre Bewegung auf: „Kommt und seht!“ Sie gehen mit. Und schon
stellt sich eine neue Frage: „Woran merken wir, wenn wir das Paradies
betreten?“ Jesus sagt: „Das Paradies ist, wo Ihr glücklich seid!“ „Und
wo sind wir glücklich?“
„Glücklich seid Ihr,
– wo Ihr auch mit leeren Händen wert geschätzt werdet und selbst
niemanden nach seinem Äußeren beurteilt.
– wo Eure Traurigkeit getröstet wird und wo ihr anderen beisteht.
– wo Ihr Frieden findet und Frieden stiftet.
– wo sich Euer Traum von Gerechtigkeit und Solidarität erfüllt und wo
ihr selber gerecht und solidarisch seid.
– wo Ihr Barmherzigkeit erlebt und selber Gutes tut, auch wenn es
sich nicht rechnet.
– wo Euer Herz sich für die Liebe öffnet und wo Ihr selbst dem Bösen
widersteht.
Überall, wo solches Glück geschieht, habt Ihr einen Fuß ins Paradies
gesetzt.“
Das Paradies hat keine Anschrift. Das Paradies ist ein
Ereignis. Es bringt Gutes hervor. Wie das neugeborene Kind im Stall
von Bethlehem. Es verwandelt die Welt. Es kann uns zu Lusaner
Glückskindern machen, zu Menschen die hier zwischen der ersten
Platte und dem frischen Carrée, zwischen Rückbau und Sanierung,
zwischen Alltagstrott und Zukunftstraum – funkeln wie die Edelsteine.
Wäre das nicht ein verlockender Kurs für unser Jubiläumsjahr? Mal
rauskommen aus all den Kanälen, die uns sonst was erzählen. Mal
raus aus der Blase, in der alle denken, was wir schon lange kennen,
und stattdessen die nächsten Schritte ganz bewusst in eine
ungewohnte Richtung lenken – mit Bahn, Bus oder zur Fuß, ganz egal.
Auf jeden Fall ins Paradies? Es liegt so nah und seine Türen stehen
offen. Wir sind willkommen. – auf geht’s!